Deutschlandfunk, Forschung Aktuell, Newsletter, Kompaktinformationen aus Naturwissenschaft und Technik, 05.01.2005
Forschung Aktuell 2/2005,
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Statine helfen gegen Multiple Sklerose

Abstract: Forscher fanden Substanz, die Entzündungen beim Nervensystem verlangsamen können

Medizin. - Statine sind immer eine Schlagzeile wert. Entwickelt wurden sie, um den Cholesterinwert zu senken, inzwischen hat sich herausgestellt, dass sie bei einer Vielzahl von Leiden positive Effekte haben. Es wurde sogar schon vorgeschlagen, sie zur Vorbeugung an jedermann zu verschreiben. Daraus wird wohl nichts, schließlich können die effektiven Medikamente auch Nebenwirkungen verursachen, wie das Beispiel Lipobay zeigt. Es kommt also darauf an die Statine gezielt einzusetzen. Zum Beispiel gegen die Multiple Sklerose. Forscher an der Berliner Charité konnten im Mäusen zeigen, dass Statine diese Entzündung des Nervensystems verlangsamen können.

Bei der Multiplen Sklerose wendet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper. Die Abwehrzellen greifen die Isolierung der Nerven an, die Folge sind Lähmungen und Sinnesstörungen. Zu Beginn der MS bilden sich die Symptome nach einem Schub meist wieder zurück. Später bleiben die Behinderungen, viele Patienten können sich dann nur noch im Rollstuhl bewegen. Die Krankheit wird derzeit mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelt. Allerdings sprechen längst nicht alle Patienten auf die Spritzen an. Orhan Aktas von Institut für Neuroimmunologie der Charite in Berlin will deshalb die Wirkung von Statinen erproben. Die können nämlich mehr, als nur den Cholesterinspiegel senken, wie vor vier Jahren Zellkulturexperimente belegten.

Man stellte fest, dass Statine in der Lage sind, eine ganz bestimmte Zellart im Immunsystem selektiv zu hemmen und zwar solche Zellen, die Bestandteile von Bakterien, Viren, aber auch körpereigene Bestandteile dem Immunsystem sichtbar machen.

Krankheiterreger werden normalerweise von Wächterzellen erkannt. Sie rufen Abwehrzellen herbei, die dann die Bakterien oder Viren abtöten. Statine hemmen die Wächterzellen und stören so die Reaktion des Immunsystems. Eine massive Infektion wird zwar noch immer bekämpft. Aber die dauerhafte Entzündung an der Isolierschicht der Nerven schwächt sich deutlich ab, wie Orhan Aktas an Mäusen zeigen konnte. Zunächst löste er bei den Tieren eine Art künstliche Multiple Sklerose aus. Sobald sich die Symptome zeigten, wurden die Nager mit Statinen behandelt.

Das entspricht natürlich der Situation beim Patienten, weil der Patient sich erst nach Krankheitsausbruch bei uns vorstellt und dann natürlich die Entzündung bereits im vollen Gange ist. Wir haben festgestellt, dass auch zu einem solch späten Zeitpunkt die verabreichten Statine in der Lage sind, die weitere Entwicklung der Erkrankung in diesen Tieren signifikant abzumildern und die Zahl von neuen Schüben in den Tieren zu senken.

Bei den unbehandelten Mäusen schritt die Krankheit bei fünf von acht Tieren voran. Dagegen erlitt unter den behandelten Nagern nur eines von acht einen weiteren MS-Schub. Dieser Effekt ist vergleichbar mit dem der bereits verwendeten MS-Medikamente. Statine müssen aber nicht gespritzt werden und sind außerdem preiswerter. Orhan Aktas konnte zeigen, dass die Statine nicht nur, wie schon bekannt, das Einleiten einer Immunreaktion erschweren, sie hemmen gleichzeitig auch noch den Angriffseifer der Abwehrzellen. Die Isolierschicht der Nerven bleibt so besser geschützt.

Unabhängig davon gibt es auch neueste Überlegungen, dass Statine direkt das Zielorgan, das heißt also das Nervensystem selbst, vor weiterem Schaden schützen könnten. Hierzu gibt es beispielsweise interessante Beobachtungen, dass Patienten, die mit Statinen behandelt wurden, eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, eine Alzheimer Demenz zu entwickeln, und es gibt auch entsprechende Zellkulturexperimente, die zeigen, dass statinbehandelte neuronale Zellkulturen vor einer Schädigung geschützt sind.

Viel versprechende Daten, es kommt jetzt aber darauf an, die Statine auch an MS-Patienten zu erproben. Eine Pilotstudie aus den USA gibt Anlass zur Hoffnung, sie war allerdings sehr klein. Die Forscher an der Charité wollten deshalb eine große Studie gemeinsam mit den Medikamenten Herstellern starten.

Allerdings ist das Interesse von Seiten der Pharmaindustrie eher klein, da die Patente der Medikamente entsprechend auch bald ablaufen werden und dementsprechend, um es gelinde zu sagen, eine gewisse Zurückhaltung herrscht.

Orhan Aktas und seine Kollegen an der Charité werden deshalb zunächst allein eine weitere Pilotstudie starten, in der auch eine Kombination der Statine mit herkömmlichen MS-Medikamenten getestet werden soll. Parallel arbeiten die Forscher aus Berlin mit amerikanischen Medizinern zusammen. Diese versuchen eine große Studie mit öffentliche Mitteln zu finanzieren. Nur wenn der nötige zweistelligen Millionenbetrag zusammenkommt, werden die Patienten erfahren, was die Statine in der Behandlung der Multiplen Sklerose wirklich taugen.